Dienstag, 19. Juni 2012

ITALIEN



FIFA-Weltrangliste
12.
UEFA-Koeffizient (Platz)
4.
EM-Titel
1968
EM-Teilnahmen bisher
1968 / 1980 / 1988 / 1996 / 2000 / 2004 / 2008
EM-Qualifikation
Sieger der Gruppe C
Rekordspieler
Fabio Cannavaro (136)
Rekordtorschütze
Luigi Riva (35)
EM-Bilanz gg GER
1988:  1:1 (Vorrunde)
1996:  0:0 (Vorrunde) 

Deutschland hat ja eigentlich einen Vorteil...sie können bei Welt- und Europameisterschaften stets das gleiche Trikot tragen: eines mit drei Sternen über dem Wappen für je drei Titelgewinne.
Italien kann das nicht...bei einer WM dürfen sie mit vier Sternen auflaufen; bei einer Euro nur mit einem, denn beim europäischem Turnier gelang der Squadra Azzurra bislang nur ein Titelgewinn, dem auch noch so ein leichter Makel anhaftet.
Aber das ist bei Italiens Titeln irgendwie immer so.
Der erste WM-Titelgewinn 1934 war so ein ähnlicher Beschiss wie die Olympiade zwei Jahre später in Berlin, bloß ohne Jesse Owens.
Vor allem im Viertelfinal-Wiederholungsspiel gegen Spanien übersah der Schiedsrichter so dermaßen konsequent Fouls der Italiener, daß der Gegner am Ende nur noch acht gesunde Spieler auf dem Platz hatte. Den Spaniern waren zwei klare Elfmeter verweigert und beim Torkopfball zum 1:0 Sieg hatte sich Guiseppe Meazza klar beim spanischen Torhüter aufgestützt.
Im Halbfinale klärte der schwedische Schiedsrichter, der abends zuvor noch von Mussolini zum Essen eingeladen worden war, per Kopf eine Flanke der Österreicher vor dem italienischen Tor – das brachte ihm auch die Ehre ein, das Finale pfeifen zu dürfen und natürlich pfiff er auch das korrekt, ignorierte das überharte Spiel der Italiener, die die Tschechen so lange zusammentraten, bis es in der Verlängerung zum 2:1 reichte.
Vier Jahre später konnte Italien seinen Titel verteidigen – eine Titelverteidigung gelang sonst nur noch Brasilien (1958 – 1962), was vor allem daran lag, daß der italienische Nationaltrainer das bisherige vorherrschende taktische System revolutionierte.
Bisher spielte man mit zwei Verteidigern, drei Mittelläufern und fünf Stürmern, also in einer Art 2-3-5, aus dem Pozzo zwei Stürmer in eine zweite Mittelfeldkette zurückzog, also in ein 2-3-2-3; das verengte die Räume und verkürzte die Wege.
Das war Pozzos Antwort auf die ewig gleiche Frage im Fußball: Was ist wichtiger: ein Tor erzielen oder kein Tor kassieren?
Beides: zunächst mal kein Tor kassieren, dann ein Tor erzielen und dann wieder kein Tor kassieren. Italienische Mannschaften erzielten selten hohe Siege, das 1:0 wurde das Maß aller Dinge und so entstand so langsam der Catenaccio, das den Italienern immer wieder angelastete unattraktive Spielsystem.
Aber wer hat’s erfunden...natürlich die Schweizer und dann auch noch deren österreichischer Nationaltrainer Karl Rappan, der seine Mannschaften in einem 3-2-4-1 System antreten ließ, aus dem bei gegnerischem Ballbesitz dann ein 5-2-2-1 wurde.
Helenio Herrera, von 1960 bis 1968 Trainer von Inter Mailand, gilt vielen als Erfinder des Catenaccio und streitet sich darum mit Nereo Rocco vom Stadtrivalen AC Milan.
In den frühen Sechzigern dominierten die Mailänder Clubs den Europapokal, was aber auch an den vielen internationalen Stars lag – denn in den internationalen Turnieren schlugen sich die Erfolge nicht durch.
Finaler Tiefpunkt war für viele Tifoso das Vorrundenaus bei der WM 1966 nach einer 0:1 Niederlage gegen die „Fußballmacht“ Nordkorea.
Der italienische Verband reagierte drastisch: verhängte einen Importstop für ausländische Fußballer, um so die eigenen Talente zu stärken; eine Maßnahme, die bis 1980 Bestand haben sollte (natürlich konnten Vereine diese Maßnahme umgehen, indem sie Ausländer einbürgerten).
Nachdem zunächst Herrera 1966 die Nationalmannschaft übernommen hatte, folgt ihm recht bald der Triester Vacareggi, dessen erste Maßnahme darin bestand, sich jegliche Einmischung von Verband und Vereinen zu verbeten...so verzweifelt war man in Italien, daß man ihm dies zugestand; ein Unding im bisherigen italienischen Fußball.
Italien bekam es in der Quali zur EM 1968 mit einer relativ leichten Gruppe zu tun; erstmals hatten zu einer Euro mit 31 so viele Nationen gemeldet, daß in acht Gruppen gespielt werden musste, um die Viertelfinalteilnehmer zu ermitteln.
Die Italiener wählten ein häufiges Procedere...die Spieler kommen aus dem Norden, aber die Spiele finden im Süden statt, vor allem in Neapel, wo die Tifosi einfach heißblütiger sind, und vor allem weniger mit den großen Clubs verbandelt, die allesamt aus dem Norden stammen.
Den einzigen Punktverlust leisteten sich die Italiener in der Schweiz (2:2), alle anderen Partien gegen Rumänien (3:1 / 1:0) und Zypern (5:0 / 2:0) wurden klar gewonnen, ebenso wie das Rückspiel gegen die Nati (4:0) und erreichten so das Viertelfinale.
Dort wartete Bulgarien, auch nun nicht als Übermacht im europäischen Fußball verschien. Bis zur 83.Minute führten die Bulgaren in Sofia 3:1, wobei das einzige Tor für die Squadra ein Eigentor von Penew war, dann gelang Prati noch der Anschluß.
Im Rückspiel, das wieder mal vor 78.000 Zuschauern in Neapel stattfand, waren es wieder Prati (vom AC) und Domenghini (von Inter), die den Halbfinaleinzug für die Italiener klarmachten.
Auch wieder ein glückliches Händchen und Gottvertrauen, denn die Vierer-Endrunde war mit der Auslosung des Viertelfinales nach Italien vergeben worden.
Das Halbfinale gegen die UdSSR fand – oh Zufall – wieder in Neapel statt, vor 70.000 Zuschauern im strömenden Regen...nach 90 Minuten stand es 0:0, ebenso nach 120 Minuten – damals war noch kein Elfmeterschießen vorgesehen und eine Wiederholung auch nicht, wegen des engen Zeitplans
So wurde das Spiel durch einen Münzwurf entschieden: der deutsche Schiedsrichter Tschenscher bat die bei den Mannschaftskaptitäne in den Mittelkreis...so ganz geklärt ist die Geschichte nicht, wer genau die Beteiligten waren und was genau passierte; am Ende jedenfalls lag die Seite der Italiener oben und sie waren im Finale, welches dann im Olympiastadion in Rom stattfand.
Schiedsrichter war Gottfried Dienst, bekannt noch vom WM-Finale 1966 und auch dieses Mal sollte seine Leistung wenig befriedigend sein.  Die Jugoslawen gingen in der 39. Minute in Führung, die bis zur 80. Minute hielt – dann verhängte Dienst einen höchst zweifelhaften Freistoß für die Italiener; während er noch die Mauer der Jugoslawen dirigierte, legte sich Domenghini den Ball an einen ihm genehmen Ort, was der Schweizer geflissentlich übersah – stattdessen stellte er sich bei der Ausführung quasi mit in die Mauer und blockierte so einen Verteidiger.
Domenghini traf zum Ausgleich, der auch nach Ende der regulären Spielzeit hielt und mit dem sich beide Mannschaften auch durch die Verlängerung schleppten.
Im Wiederholungsspiel hatte Valcareggi einfach die größeren Reserven...die Jugoslawen schickten die selbe Elf aufs Feld, die Italiener tauschten auf fünf Positionen.
Luigi Riva, Sarde vom US Cagliari, Torschützenkönig der Saison 66/67, kam nach einem Beinbruch zu seinem ersten Einsatz, erzielte das 1:0, wonach der Widerstand der Balkankicker gebrochen war; noch in der 32. Minute gelang Anastasi von Varense das 2:0, welches zugleich den Endstand markierte.
Nach diesem Turnier wurde im Übrigen das Elfmeterschießen eingeführt und ersetzte solchen Unsinn wie Münzwürfe und Wiederholungsspiele (in der Bundesliga-Relegation hielt sich das Wiederholungsspiel allerdings bis in die 90er – der FC St. Pauli kann ein Lied davon singen). 
Italien war, wenn auch mit Naserümpfen, aber nach diesem Spiel verdient, Europameister.  Daß die Mannschaft es auch ohne Schiedsrichterhilfe kann, guten Fußball zu spielen, zeigte sie zwei Jahre später bei der WM in Mexiko beim Spiel des Jahrhunderts, dem 4:3 im Halbfinale gegen Deutschland.
Gerade dieses Spiel aber stellte eine Art Wegkreuzung für beide Nationen dar.
Denn für den deutschen Fußball war das eher der Anfang einer Serie...für Italien eher das Ende. Bei der EM 1972 scheiterte man im Viertelfinale an Belgien; 1974 bei der WM in der Vorrunde an Polen, Argentinien und Haiti, bei der EM 1976 war in der Vorrunde bereits Schluß. 1978 er wurstelte sich Italien das Spiel um Platz 3, was aber vornehmlich daran lag, daß Deutschland in Cordoba 2:3 gegen Österreich verlor.
Aber 1978 war eh ein Turnier, in dem der schön Fußball zu Grabe getragen wurde, da fiel die mangelnde Spielkultur der Italiener nicht weiter auf.
1980 war die EM reformiert worden; das Endrundenturnier mit vier Teilnehmern hatte sich als schwacher Magnet erwiesen und so gab es zwei Meinungen: die sozusagen deutsche Seite tendierte dazu, auch die Halbfinals im Europapokalmodus (Hin- und Rückspiel) auszutragen und nur das Finale frühzeitig an einen neutralen Ort zu vergeben.  Die andere – die italienische – Seite, bevorzugte die Lösung, die Gelddruckmaschine anzuwerfen und das Turnier aufzuwerten: eine echte Endrunde mit acht Mannschaften in zwei Gruppen. Der Gastgeber sollte automatisch qualifiziert sein.
Damit sollte auch der größeren Anzahl an Mitgliedsverbänden Rechnung getragen werden. Italien als Anwalt der Kleinen...der italienische Standpunkt setzte sich durch; doch als es um die Vergabe des Endturniers ging, war Schluß mit Anwalt.
Eine große Fußballnation sollte es sein, die das Turnier austragen sollte – damit wurde schnell klar, wen die Italiener meinten und ebenso, daß die Bewerber Schweiz, Griechenland und die Niederlande aus dem Rennen waren.
England katapultierte sich durch sein Hooligan-Problem raus, blieb noch Deutschland – aber die hatten ja schon die WM 1974 und Olympia 1972 gehabt – und Italien.
Also bekam Italien 1977 den Zuschlag (warum, wenn man die Erfolge der letzten Jahre nimmt, die Niederlande nicht als „große“ Fußballnation galten, wird auf ewig das Geheimnis der UEFA bleiben) – von Rechts wegen hätte man ihnen das Turnier gleich zwei Jahre später wieder wegnehmen müssen, nachdem die ersten Ausläufer des nationalen Wettskandals ruchbar wurden.
In den Kassen der Vereine der Serie A klafften Löcher von 25 Mio € Schulden, da reichten die Gelder von Totocalcio (staatliche Fußballlotterie!!!), dem Ligasponsor, bei weitem nicht aus. Also erhöhten die Vereine ihre Einnahmen, indem sie selber mitwetteten und natürlich auch gleich für die passenden Ergebnisse sorgten.
Am Ende der Ermittlungen mussten der AC Mailand und Lazio Rom zwangsabsteigen und das ganze Wirrwarr schlug auch auf die Stimmung bei der EM um.
In der Gruppe 1 mit Deutschland, der CSSR, den Niederlanden und Griechenland fanden die Spiele vor fast leeren Rängen statt: 26.500 in Neapel wollten noch Deutschland gegen die Niederlande sehen – nur 4.700 im Olympiastadion verfolgten CSSR gegen Griechenland. Spanien gegen England in der Gruppe 2 fand das Interesse von 14.400 Menschen in Neapel und selbst die Spiele der Italiener waren nie ausverkauft.
Italiens Trainer Bearzot, Spieler und Assistent unter dem großen Rocco, hatte das italienische System weiter perfektioniert. EIN Tor reichte zum Einzug in das kleine Finale um Platz drei (0:0 gegen Spanien, 1:0 gegen England, 0:0 gegen Belgien) und hätte die Squadra gegen Belgien ein zweites geschossen, dann wäre sogar das Endspiel drin gewesen. Aber mit ihrer defensiven Grundausrichtung waren die Italiener gar nicht in der Lage, mit Mann und Maus zu stürmen und die zaghaften Konter scheiterten regelmäßig an der belgischen Abseitsfalle.
Das Spiel war ein Augenschmaus für Taktikfreaks – ein 1-3-5-1 gegen ein lupenreines 4-4-2 ohne Libero – aber für einen Fußballfan muß es das reinste Grauen gewesen sein.
Die Zuschauer quittierten solcherlei Leistungen mit Wegbleiben.
Das Spiel um Platz 3 fand im Wohnzimmer der Italiener, in Neapel vor nur 24.700 Zuschauern. Die CSSR ging durch einen Sonntagsschuß in Führung, den Italienern gelang nur der Ausgleich). Nach einer ermüdenden Verlängerung schleppte sich denn auch noch das Elfmeterschießen schier endlos dahin, bis endlich Collovati als neunter Schütze antrat und Netolicka seinen Schuß im Nachfassen hielt.
Der Elfmeter ging nicht als „Neapel-Tor“ in die Fußballhistorie ein, obwohl die Italiener vehement reklamierten, der Ball hätte die Torlinie bereits überschritten.
Dem Schiedsrichter Linemayr blieb es vorbehalten, diesmal gegen die Italiener zu entscheiden und Barmos blieb es vorbehalten, dem Spuk ein Ende zu setzen.
Nach diesem Turnier wurde auch das Spiel um Platz drei abgeschafft (auch wenn darüber diskutiert wird, es 2016 wieder einzuführen); Italien ließ ausländische Kicker wieder zu in der Serie A und reformierte die Finanzierung der Liga, um sie sich auch leisten zu können...was aber nichts an der Tatsache änderte, daß die meisten Vereine immer noch hoch verschuldet sind.  Im Laufe der Jahre wurden dem AC Parma, dem AC Florenz und SSC Neapel die Lizenz entzogen, AC Turin und dem FC Messina wurden sie 2005 verweigert.
Im selben Jahr kamen auch die nächsten Manipulationsvorwürfe ans Licht: CFC Genua hatte ein Spiel gegen Venedig und somit den Aufstieg gekauft – Juventus Turin wurde wegen „strukturierten Sportbetrugs“ in die Serie B versetzt, die Meistertitel 2005 und 2006 wurden aberkannt, AC Mailand, AC Florenz und Reggina Calcio wurden mit drastischen Punktabzügen bestraft.
Als einer der wenigen Leistungsträger blieb Nationaltorwart Gianluigi Buffon der alten Dame Juve auch in der zweiten Liga treu...ausgerechnet Buffon ist nun - und ewig grüßt das Murmeltier – in einen erneuten Wettskandal verwickelt, der vor der EM ruchbar wurde. Im Moment ist der Deckel drauf, wohl um den Erfolg nicht zu gefährden.
A propos Erfolg...die 1980er Mannschaft stand nach den desaströsen Leistungen bei der EM im eigenen Land heftig in der Kritik ebenso wie der Trainer.
Bearzot (der Schweiger aus Friaul) tat das, was er am besten konnte: Schweigen!
Und in Ermangelung von einem Besseren hielt der Verband an ihm fest.
Und Bearzot hielt, in Ermangelung von Besserem, auch an seinen Spielern fest – einzige Neuerung: er berief Paolo Rossi in den Kader zurück, der 1980 wegen seiner Verwicklung in den Wettskandal für drei Jahre gesperrt worden war. Die Sperre wurde im April 1982 aufgehoben, Rossi fuhr mit zur WM nach Spanien, schoß – nach schwachen Leistungen in der Vorrunde – alle drei Tore zum 3:2 Sieg über Brasilien, beide Treffer beim 2:0 Halbfinalsieg über Polen und das 1:0 im Finale gegen Deutschland...Rossi wurde Torschützenkönig und Italien Weltmeister.
Italienische Geschichten halt.



Sonntag, 17. Juni 2012

SPANIEN



FIFA-Weltrangliste
1.
UEFA-Koeffizient (Platz)
2.
EM-Titel
1964 / 2008
EM-Teilnahmen bisher
1964 / 1980 / 1984 / 1988 / 1996 / 2000 / 2004 / 2008
EM-Qualifikation
Sieger Gruppe I
Rekordspieler
Iker Casillas (128)
Rekordtorschütze
David Villa (51)
EM-Bilanz gg GER
1984:  1:0 (Vorrunde)
1988:  0:2 (Vorrunde)
2008:  1:0 (Finale)

Was macht guten Fußball aus und was erfolgreichen - und wie bringt man Fußballer dazu, guten Fußball zu spielen – kann man das antrainieren oder müssen gewisse Eigenschaften bei Spielern  vorhanden sein, um guten Fußball zu spielen und: um vor allem erfolgreich guten  Fußball zu spielen?
Braucht es nur die reine Athletik des Kopfes oder Fußes, um den Ball ins Tor zu befördern oder braucht es vor allem den Kopf, der dem Fuß sagt, wie er den Ball ins Tor zu befördern hat...und wenn ja, wie bringt man dem Kopf bei, dem Fuß das richtige zu tun.  ODER AUCH: bestimmt das Bewusstsein das Sein oder ist es doch umgekehrt.
Es gibt viele Ansätze, sich dem Thema zu nähern, vor allem den italienischen und den niederländischen, die beiden Extreme – der eine auf Tore verhindern, der andere auf den Torerfolg ausgerichtet und dann gibt es noch seit 2004 den überaus erfolgreichen dritten Weg, den die Griechen und die Spanier praktiziert haben.
Die Griechen als das eine Extrem, ein reines Kollektiv, aber letztendlich war die Idee die gleiche, die hinter den jüngsten Erfolgen der Spanier steht.
Was sich so schön „TIKI-TAKA“ nennt, dieses minutenlange Hin und Her von Kurzpässen ist nichts anderes, als das was die Griechen 2004 praktiziert haben, nur daß es bei den Spaniern zumeist in des Gegners Hälfte stattfindet.
Die Lösung, wie man den Gegner daran hindert, ein Tor zu schießen, ist ansich ganz einfach...dazu braucht der Gegner den Ball und wenn man selbst den Ball hat, ihn minutenlang hin und her kreiseln lassen kann, dann besteht halt keine Gefahr für das eigene Tor und – im Nebeneffekt – auch noch die Möglichkeit, wenn der Gegner dann einen Fehler macht, selbst ein Tor zu erzielen.
Das haben spanische Mannschaften inzwischen bis zum Erbrechen perfektioniert, aber die Sache ist, das konnten sie ansich schon immer, so daß man sich ernsthaft die Frage stellen muß, warum dabei früher so wenig herausgesprungen ist.
Der spanische Vereinsfußball war lange schon der dominierende in Europa neben dem englischen und italienischen, was sicher auch an den hochkarätigen ausländischen Stars lag, die für die Vereine kickten, dennoch waren ansich die Italiener immer mit unter den Topfavoriten bei allen Turnieren, die Spanier zählten allerdings auch immer mit zu den Geheimfavoriten, obwohl ihnen der einzige Titelgewinn bis 2008 (wie den Engländern) nur im eigenen Land gelang.
Dazu muß man vielleicht (und da komme ich wieder bei der Frage an, ob das Sein das Bewusstsein bestimmt oder umgekehrt) anmerken, daß Spanien durch Bürgerkrieg und Diktatur lange ein zerrissenes Land war.
Zur WM 1938 wurde eine spanische Mannschaft wegen des Bürgerkrieges nicht zugelassen, bei der EM 1960 wurden die Spanier disqualifiziert, weil Diktator Franco der Mannschaft untersagte, zum Viertelfinalspiel nach Moskau zu fliegen.
1964 wurde die Endrunde dann recht früh an Spanien vergeben, nicht erst, als die vier Endrundenteilnehmer feststanden – das versprach zwar einerseits Planungssicherheit für das Gastgeberland, war aber auch andererseits ein wenig riskant, denn der Gastgeber einer EM war bis 1980 nicht automatisch qualifiziert und fast wäre es schiefgegangen.
Obwohl die Spanier im Vereinsfußball eine Macht waren, gerade in den 60er Jahren, war die Nationalmannschaft nur ein Schatten jener Erfolge.
In der Vorrunde gab es ein relativ deutliches 6:0 gegen Rumänien, das Rückspiel ging allerdings mit 1:3 verloren und im Achtelfinale wurde es richtig eng: Im Hinspiel reichte es gegen die Nordiren grad zu einem 1:1, das mag auch mit an dem Austragungsort gelegen haben – Spiele in Bilbao war zu Zeiten der Franco-Diktatur für die Seleccion nicht unbedingt Heimspiele (wie auch Spiele in Barcelona). Im Rückspiel reichte ein Treffer von Gento zum Einzug ins Viertelfinale. Da bekam man es mit den Rest-Iren zu tun, auch nicht gerade eine Fußball-Großmacht jener Tage.
Nationaltrainer Villalonga vertraute einer Mannschaft, in der nur zwei Akteure von Real Madrid standen, dazu vertraute er zwei Italien-Legionären und ließ mit Iribar einen Basken im Tor debütieren.
In Sevilla schickte man die Iren mit 5:1 nach Hause, im Rückspiel besorgte Zaballa aus Barcelona die Treffer zum 2:0 Sieg. Spanien war also im Halbfinale.
Dort bekam man es mit Ungarn zu tun – 37.000 Zuschauer waren anwesend im Estadio Santiago Bernabéu, dem Wohnzimmer des Diktators Franco. (Zur Einordnung: das Endspiel um den Landesmeisterpokal 1957 zwischen Real Madrid und dem AC Florenz verfolgten 124.000 Zuschauer.)  Das spanische Team ging durch Pereda (Barcelona) in Führung, doch Albert konnte kurz vor Schluß ausgleichen; erst in der 108. Minute gelang der Siegtreffer durch Amancio von Real Madrid.
Im Finale musste der natürlich anwesende Diktator Franco zwei Kröten schlucken: der Gegner hieß UdSSR und eine sowjetische Fahne hing 90 Minuten lang vor seinen Augen gegenüber der Ehrentribüne und wieder standen nur zwei Akteure seines Lieblingsclubs Real Madrid auf dem Feld.  Diesmal waren 79.7000 Zuschauer anwesend, damit waren aber nur die aufgelistet, die auch ein Ticket erworben hatten; inoffiziellen Angaben zufolge sollen bis zu 130.000 Menschen anwesend gewesen sein.
Die Spanier gingen in der 5. Minute durch Pereda in Führung, doch Chussainow schaffte im Gegenzug quasi den Ausgleich und es sollte bis zur 85. Minute dauern, bis Martinez von Real Saragossa den Siegtreffer erzielte. Mit den Spaniern hatte selbst nach Meinung des russischen Trainers die bessere, schneller und modernere Mannschaft gewonnen.
Zum ersten Mal trat die Seleccion aus dem Schatten der großen Vereine heraus, was in der regimefreundlichen Presse geradezu überschwänglich bejubelt wurde: auf einem Cartoon der Zeitung ABC beglückwünschte der Diktator die Europameister mit den Worten: „Sie und ich haben sich als Sieger erwiesen. Wir haben beide die Roten geschlagen!“  In einem Kommentar stand in dem selben Blatt, die Begeisterung im Stadion und auf den Straßen Madrids seien Ausdruck des größten Enthusiasmus, den das Volk dem Staat, der aus dem Sieg über den Kommunismus hervorging, in diesem Vierteljahrhundert entgegengebracht hatte.
Sonstigen Enthusiasmus brachte das spanische Volk den Bezwingern des Kommunismus wohl scheinbar nicht entgegen; der Nationalmannschaft bald auch nicht mehr, denn die Leistungen nach dem Titelgewinn waren alles andere als herausragend.
Im Jahr nach dem Titelgewinn verhängte der spanische Verband einen Importstop für ausländische Kicker und ließ wie schon 1964 nur noch Spieler in der Nationalmannschaft zu, die auch in Spanien geboren waren, was zur Folge hatte, daß der spanische Vereinsfußball im Mittelmaß versank und auch die Nationalmannschaft keine zählbaren Erfolge mehr aufweisen konnte.
Letzteres sollte aber weniger an dem Importstop (der 1973 aufgehoben wurde und sich Barcelona die Dienste von Johan Cruyff sicherte) liegen, als daran, daß Spanien politisch noch immer ein zerrissenes Land war und viele der Besten nicht für „ihr Land“ antraten oder, wenn sie das taten, die Mannschaft kein Team war.
Bezeichnend hierfür ist vielleicht das Qualifikationsspiel am 12.10.1975 gegen Dänemark, das Spanien die Viertelfinalteilnahme zur Euro 1976 sicherte. Nur knapp 7.000 Zuschauer wollten das Spiel in Barcelona sehen und nach dem Spiel war alles totenstill. Acht Tage später waren Barcelonas Straßen voll von feiernden und jubelnden Menschen, die tanzten und sangen. Diktator Franco war gestorben!!!
Frankreich unterlag im Viertelfinale dann Deutschland – Torhüter damals war Miguel Angel von Real Madrid; einer der besten seines Fachs, leider mit einer schwachen Mannschaft ausgestattet, ihm folgten in der Tradition von Iribar erst Arconada und dann Andoni Zubizarreta, alles jeweils Basken, weil die Topvereine zumeist Ausländer als Keeper unter Vertrag hatten.
Die WM 1082 im eigenen Land, bei der noch Arconada im Tor stand, geriet quasi zum
Debakel für das Gastgeberland: in der ersten Runde ein 1:1 gegen Honduras, ein 2:1 gegen Jugoslawien und ein 0:1 gegen die Nordiren reichten so grad mal – in der 2. Finalrunde gab es ein 1:2 gegen Deutschland und ein 0:0 gegen England.
Raus beim Turnier im eigenen Land mit einer blutleeren Mannschaft.
Danach war immer das Viertelfinale das Maximum aller Gefühle bei allen Turnieren, obwohl sich eine neue Generation von Spielern heranbildete.
Nachfolger des großen Zubizarreta wurde Santiago Canizares aus der Jugend von Real Madrid, der jedoch seine großen Tage beim FC Valencia erlebte; sein Nachfolger wurde Iker Casillas ab 2000 als Stammkeeper, einer der U20-Weltmeister Spaniens 1999.
Casillas ist vielleicht eines der Sinnbilder für die neue spanische Mannschaft.
Zwar dauerte die Erneuerung lange, doch dann trug sie endlich Früchte.
Vielleicht brauchte es die lange Phase für eine Versöhnung zwischen den Landesteilen, vor allem zwischen Kastilien (Real Madrid) und Katalonien, daß sich Energien in den Köpfen der Spieler auch für die Nationalmannschaft bündelten.
Beim EM Gewinn war kein Spieler mehr im Kader, der noch zu Zeiten der Franco Diktatur geboren worden war; ein Großteil der Spieler war in den Jugendakademien von Real oder Barcelona ausgebildet worden und inzwischen suchte die neue Generation von Spielern nicht mehr nur den sicheren Verdienst in der spanischen Liga, sondern auch die Erfahrung des Spiels im Ausland.
Was in den 60er Jahren Italien war, das spanischen Spielern Härte und Defensive lehrte und so zum Titelgewinn 1964 mithalf, war in den 2000ern vor allem England:
Reina, Arbeloa, Xabi Alonso und Fernando Torres verdienten 2008 ihr Geld in Liverpool, Cesc Fabregas bei Arsenal London.
Inzwischen sind die meisten wieder zurück gekehrt nach Spanien, nur noch Torres verdingt sich beim FC Chelsea, aber ebenda spielt Mata – die zwei wissen also, wie man Champions League gewinnt - und mit David Silva haben sie jemanden im Kader, der weiß, wie man mit Man City englischer Meister wird.
Spanien ist im Konzert der ganz Großen angekommen und wird sich aus dem Saal wohl auch nicht mehr so schnell verabschieden. 

Donnerstag, 14. Juni 2012

FRANKREICH



FIFA-Weltrangliste
16.
UEFA-Koeffizient (Platz)
5.
EM-Titel
1984 / 2000
EM-Teilnahmen bisher
1960 / 1984 / 1992 / 1996 / 2000 / 2004 / 2008
EM-Qualifikation
Sieger der Gruppe D
Rekordspieler
Lilian Thuram (142)
Rekordtorschütze
Thierry Henry (51)
EM-Bilanz gg GER
Noch keine Spiele

Die Equipe Tricolore oder auch Les Bleus ist eine Wundertüte oder auch eine Forrest Gumpsche Pralinenschachtel...man weiß nie so recht, was man bekommt.
Schon immer hat Frankreich begnadete Fußballer hervorgebracht, vor allem in der Offensive, erinnert sei hier nur an den großen Eric Cantona.
Doch nur selten wurde aus diesem Haufen hervorragender Individualisten auch ein starkes Kollektiv, das in der Lage war, mit den ganz großen Nationen mitzuhalten.
Und bis in die 50er Jahre hinein hatten die Franzosen noch keinen „echten“ Nationaltrainer, sondern die Mannschaft wurde von einem Auswahlkomitee zusammen gestellt, das aus bis zu acht Mitgliedern bestand.
Vielleicht kann man aber auch sagen, neben dem oben genannten, daß die Erfolge der Equipe Tricolore dann am größten waren, wenn sich alle Franzosen als Teil der Nation begriffen und im Gegenzug auch die Nation auch alle Bewohner des Landes als Franzosen einschloß, was nicht immer der Fall war.
Aber anders als z.B. in den Niederlanden gab es im französischen Fußballverband in den Anfangsjahren keinen latenten Rassismus, Frankreich war und ist ein Einwanderungsland und je mehr es sich dazu bekannte und desto besser die Integration der Migranten erfolgt, desto besser erging es auch Les Bleus.
Bereits in der ersten Blüte des fanzösischen Fußballs in den 20ern / 30ern gab es viele Nationalspieler, die in Frankreichs nordafrikanischen Besitzungen aufgewachsen waren; 1931 gab es mit Raoul Diagne den ersten dunkelhäutigen Nationalspieler, dem bis zum zweiten Weltkrieg weitere folgten.
In den späten Dreißigern bestimmten ungarische, österreichische und spanische Immigranten das Bild der Nationalmannschaft; nach dem Krieg waren es polnische Einwandererkinder wie Raymond Kopa oder Maryan Wisnieski oder der in Marokko geborene Just Fontaine, Torschützenkönig bei der WM 1958 mit 13 Treffern.
Der dritte Platz bei der WM in Schweden blieb denn auch für lange Zeit der größte Erfolg der Franzosen. Die Endrunde im eigenen Land bei der ersten EM sollte eine Krönung darstellen, doch Kopa, Fontaine und Cisowski waren im Halbfinale verletzt und Les Bleus unterlagen im Halbfinale gegen die Plawi, die anderen Blauen aus Jugoslawien mit 4:5 und danach auch das Spiel um Platz drei mit 0:2 gegen die CSSR.
Die Jugoslawen galten als „Bête Noire“, als schwarze Bestie, weil man sie gern die entscheidenen Spiele in Qualifikationen verlor. Zwar schalteten die Franzosen die Bestie in der Quali zur WM 1966 aus – gegen Mexiko (1:1), Uruguay (1:2) und England (0:2) gelang kein Sieg und so es nach der Vorrunde schon wieder rüber über’n Kanal.
Alle drei Spiele in der Vorrunde bestritt im Übrigen Jean Djorkaeff, Sohn eines nach der russischen Revolution emigrierten kalmückischen Kosaken. Jean sollte Frankreich in 24 seiner 48 Spiele für die Equipe als Kapitän auf’s Feld führen und später als Trainer beim FC Grenoble wirken, wo er unter anderen auch seinen Sohn trainierte.
Nach der WM 1966 sollte Frankreich kein internationales Turnier mehr erreichen, acht Nationaltrainer versuchten sich in kurzen Intervallen an verschiedenen Spielsystemen,
aber irgendwie lief Frankreich der Entwicklung des Fußballs immer ein wenig hinterher.
Die WM 1978 war das erste große Turnier, für das sich Frankreich wieder qualifizieren konnte. Dort gab es zwei knappe 1:2 Niederlagen gegen Italien und Argentinien  - ein 3:1 Sieg gegen Ungarn am letzten Spieltag reichte nur zu Platz 3 und zum Aus in der Vorrunde. Jenes letzte Spiel gegen die Ungarn bot allerdings ein Kuriosum. Die Franzosen standen da in weißen Trikots und blauen Hosen, die Ungarn in weißen Hemden und roten Hosen...leider befinden wir uns noch in Zeiten des Schwarz-Weiß-Fernsehens und der Schiedsrichter wies die Franzosen an, Ersatztrikots anzuziehen.
die hatten leider keine dabei, so wurden von einem argentinischen Zweitligisten grün-weiß längsgestreifte Trikots beschafft, die die Franzosen nun zu tragen hatten.
Schon damals bildete sich so was wie eine neue Generation heraus; zwar ging die Qualifikation zur EM 1980 an die CSSR, doch 1982 waren die Franzosen bei der WM wieder dabei und kamen bis ins Halbfinale; dort war gegen die Deutschen im Elfmeterschießen Schluß. Jenes Spiel wird auf ewig seinen bitteren Beigeschmack behalten durch das Foul von Toni Schuhmacher an Battiston und dem üblen Spruch mit den Jacketkronen hinterher.
Mit Marius Tresor hatte die Nationalmannschaft Frankreichs im Übrigen ihren ersten dunkelhäutigen Mannschaftskapitän.
1984 paßte dann endlich alles...die Spieler der Bleus um Platini Tigana und Giresse waren auf dem Höhepunkt ihres Könnens UND das Turnier fand auch noch im Heimatland statt.  1:0 gewann man gegen Dänemark, 5:0 gegen Belgien (immerhin Zweiter von 1980) und 3:2 gegen das Schwarze Biest.
Im Halbfinale holten die Franzosen zweimal einen Rückstand gegen Portugal auf und gewannen 3:2 – im Finale gegen Spanien siegten sie 2:0.
Bösartige Zungen sollten später behaupten: wenn die Franzosen ein Turnier gewinnen, dann nur im eigenen Land.
1986 sollten dann wieder die Deutschen Endstation im Halbfinale einer WM sein, diesmal ohne Jacketkronen und ohne Elfmeterschießen; die Franzosen wurden Dritter nach einem 4:2 in der Verlängerung gegen Belgien.
Doch die alten Helden waren müde, Trainer Michel Hidalgo war ebenso zurückgetreten wie es die meisten seiner Spieler nach der WM 86 taten und wieder sollte es zehn Jahre dauern, bis eine neue Generation heranwuchs.
1996 bei der Euro kamen die Franzosen bis ins Halbfinale, das sei erst nach Elfmeterschießen gegen Tschechien verloren, doch zwei Jahre später gelang der große Wurf und die Franzosen wurden Weltmeister.
Böse Zungen unkten, die Franzosen hätten das Turnier nicht gewonnen, wenn es nicht im eigenen Land stattgefunden hätte – de Facto war der Weg auch nicht der allerschwerste: in der Vorrunde hießen Südafrika (3:0), Saudi-Arabien (4:0) und Dänemark (2:1) die Gegner – im Achtelfinale gab es ein mühevolles 1:0 gegen Paraguay, im Viertelfinale ein 4:3 nach Elfmeterschießen gegen Italien und im Halbfinale ein ebenfalls mühevolles 2:1 gegen Kroatiien.
Doch das 3:0 im Finale gegen den haushohen Favoriten Brasilien (auch wenn es immer noch die Gerüchte gibt über das, was man Ronaldo in den Tee getan hatte) war eine eindrucksvolle Demonstration und vielleicht das Spiel, das den Weltruhm des Zinedine Zidane begründete...vielleicht sein bestes Spiel ever.
Ein Großteil der Weltmeistermannschaft war bereits 1996 zusammen gewesen, neu hingegen war vor allem der Sturm mit den zwei 21 jährigen Thierry Henry und David Trezeguet; Henry wurde mit drei Treffern bester Torschütze der Equipe.
 Daß die Franzosen es auch anders können, zeigten sie zwei Jahre bei der EM in Belgien und den Niederlanden: erstmals wurde ein amtierender Weltmeister auch Europameister und erstmals gewannen die Franzosen ein Turier außerhalb des eigenen Landes.
Neun Spieler des Finales von 1998 standen auch in der Anfangsformation des Finales 2000 – das goldene Tor im Finale erzielte David Trezeguet.
Gerade in der Stunde des größten Erfolges brach in Frankreich eine Diskussion über die Zusammensetzung der Nationalmannschaft aus. Viele der Spieler hatten Wurzeln in den ehemaligen Kolonien oder in Frankreichs überseeischen Besitzungen.
So bürgerte sich ab 1998 anstatt der Bezeichnung bleu-blanc-rouge für die Farben der Tricolore die Bezeichnung black-blanc-beur (Schwarze, Weiße, Maghrebiner) für die Equipe ein und Jean Marie Le Pen von der rechtspopulistischen Front National behauptete, die Mehrheit der französischen Nation könne sich in dieser Mannschaft nicht mehr wiedererkennen.
Dieser Satz fiel allerdings 2006, als die Equipe Tricolore trotz des zweiten Platzes bei der WM in Deutschland bereits wieder auf dem absteigenden Ast.
2003 gewann Frankreich noch den Confed-Cup – in Frankreich, im Jahr zuvor war die Mannschaft allerdings bei der WM in der Vorrunde sieg- und torlos ausgeschieden.
2004 reichte es noch bis ins Viertelfinale, weil vor allem Zinedine Zidane den Spaß am Fußball wiedergefunden hatte; den verlor dieser im Finale der WM 2006.
Mit Raymond Domenech betreute seit 2004 erstmals ein Einwandererkind (sein Vater floh als Katalane aus Franco-Spanien) die Equipe; er gilt gemeinhin als Versager, auch wenn das eine gefühlte Meinung ist, denn von seinen Ergebnissen ansich her ist seine Bilanz positiv, nur hatte er weder die Ausstrahlung, noch das Glück, noch die Qualität des Personals seiner Vorgänger Jacquet und Lemerre.
Schon bei dem Gewinn der Vizeweltmeisterschaft wurde gemeckert, er halte zu lange an altem Personal, dann wurde seine Taktik mit einem Stürmer kritisiert und all das kumulierte in dem Konflikt zwischen Disziplin und Kreativität.
Aber bei der EM 2008 war schon nach der Vorrunde Schluß (Rumänien 0:0 – Niederlande 1:4 – Italien 0:2) und zur WM 2010 fuhr das Team nur durch das nach einem Treffer gegen Irland, bei dem zuvor Thierry Henry den Ball absichtlich mit der Hand mitgenommen hatte...alle hatten es gesehen, nur der Schiri nicht.
Bei der WM wurden die Franzosen dann verdient Gruppenletzter in der Vorrunde -  spielten gegen Uruguay 0:0, verloren gegen Mexiko 0:2 und gegen Südafrika 1:2.
Das Turnier wurde zu einer wahren Witzveranstaltung für die Equipe: erst kritisierte Trainer Domenech den Stürmer Anelka für dessen mangelnde taktische Disziplin; als er seine Kritik in der Pause des Mexiko-Spiels wiederholte, beleidigte Anelka seinen Trainer, wurde zunächst ausgewechselt und dann aus dem Kader geworfen. Ein Teil der Spieler weigerte sich daraufhin, vor dem abschließenden Gruppenspiel unter Domenech weiter zu trainieren und blieb beim Abschlusstraining einfach im Bus sitzen.
Der Trainer verzichtete auf die „Rädelsführer“, schied aus und war am Ende vom Lied der große Verlierer...mit Laurent Blanc übernahm nur einer der Helden von 1998 das Amt des Nationaltrainers – der Kader ist gerührt, nicht geschüttelt (nur vier Spieler im Kader, die nach Blancs Amtsantritt in der Equipe debütierten) – allerdings waren Les Bleus vor der EM seit 22 Länderspielen ungeschlagen.
Wundertüte halt.   

Dienstag, 12. Juni 2012

NIEDERLANDE



FIFA-Weltrangliste
4.
UEFA-Koeffizient (Platz)
9.
EM-Titel
1988
EM-Teilnahmen bisher
1976 / 1980 / 1988 / 1992 / 1996 / 2000 / 2004 / 2008
EM-Qualifikation
Sieger der Gruppe E
Rekordspieler
Edwin van der Sar (130)
Rekordtorschütze
Patrick Kluivert (40)
EM-Bilanz gg GER
1980:  2:3 (Vorrunde)
1988:  2:1 (Halbfinale)
1992:  3:1 (Vorrunde)
2004:  1:1 (Vorrunde)

Die Niederlande sind ein eigenartiges kleines Land.
Wenn es keine Deiche gäbe, könnte man dort nicht wohnen; wenn es keine Gewächshäuser gäbe, könnte man dort keine Tomaten und Tulpen anbauen.
Die Niederlande sind eines der am dichtesten bevölkerten Länder der Welt, was vielleicht dazu führt, daß jeden Sommer mehrere Millionen von ihnen mit mobilen Heimen (vulgo auch Wohnwagen genannt) dem Land entfliehen, um woanders Urlaub zu machen und daß sich der Niederländer exzellent durch Massen hindurchschlängeln kann, also im Fußball einen exorbitanten Dribbler abgibt.
Seit Beginn jener Zeiten, als Fußball in den Niederlanden populär wurde, galt zunächst Belgien, der 1830 verloren gegangene Teil des Landes, als Erzrivale.
Das sollte sich später ändern und die Deutschen sollten diesen Platz übernehmen, nachdem sie im ersten wie im zweiten Weltkrieg ihren kleinen Nachbarn überrannt hatten und, vor allem, der vielleicht besten niederländischen Mannschaft aller Zeiten den WM Titelgewinn 1974 versaut hatten.
Zweimal hatten die Niederländer das Achtelfinale einer WM erreicht (1934 und 1938), waren auch bei Olympia relativ erfolgreich gewesen, danach begann eine lange Durststrecke bis 1974.
Dann nämlich erfanden die Niederländer „Totaalvoetbal“.
Nein, taten sie natürlich nicht – die Anfangsjahre der Nationalmannschaft waren geprägt von ausländischen Nationaltrainern, vornehmlich Engländern und Österreichern, von 1966 bis 1970 auch von dem Deutschen Georg Kessler.
Als Erfinder des totalen Fußballs gilt Jack Reynolds, Trainer bei Ajax Amsterdam von 1915 bis 1949 – die Idee dahinter: bei Ballbesitz greifen alle Spieler an, bei Ballverlust verteidigen alle; im Angriff gilt es, die Räume weit zu machen und in der Verteidigung gilt es, sie für den Gegner eng zu machen. Das setzt ein hohes Maß an Spielintelligenz voraus; ein Stürmer muß Verteidiger spielen können und ein Stürmer Verteidiger. Nicht zuletzt galten auch Jongbloed und Van der Sar, die zwei größten Torhüter der Niederlande, als hervorragende Fußballer.
Zur Perfektion gelangte das System unter Rinus Michels, Trainer bei Ajax bis 1971 und Bondscoach bei der WM 1974, der selber noch unter Reynolds gespielt und von ihm dieses System gelernt hatte. Von 1970 bis 1974 hatten mit Feyenoord und Ajax vier mal in Folge niederländische Vereine den Europapokal der Landesmeister gewonnen und für alle galt die Elftal, spätestens nach dem 2:0 über Brasilien als beste Mannschaft der Welt und haushoher Titelfavorit, bis die Deutschen ihnen dann in München den Titel wegschnappten. Ein Drama – in jedem anderen Land der Welt wären wahrscheinlich die Niederländer Weltmeister geworden – und nichts kann diese Schmach tilgen.
Als zweitliebster Hassgegner etablierte sich im Übrigen Argentinien, nachdem der Elftal 1978 genau das gleiche widerfuhr; wieder wurden sie als klarer Favorit von einem Gastgeberland in einem WM-Finale geschlagen und auch hier hieß es hinterher, daß in jedem anderen Land der Welt die Niederlande das Finale gewonnen hätten.
So sehr das System des Totalvoetball Intelligenz, Kreativität und Individualität voraussetzt, so sehr mag es erstaunen, daß der Vater des Erfolges – Rinus Michels – alles andere als ein Feingeist war, sondern eher ein sadistischer Schleifer, der seine Spieler erniedrigte und beleidigte; er ließ sie laufen bis zum Umfallen und Turnen bis zur Erschöpfung grad wie Gunnery Sergeant Hartmann in „Full Metal Jacket“.
Jetzt könnte man sagen: die, die die Ausbildung überstanden, überlebten auch Vietnam.
Denn seit 1974 galten die Niederlande, bei welchem Turnier sie auch immer antraten, zumindest als Mitfavorit, doch ihren einzigen Titel holte die Elftal unter dem General.
Als kleine Revanche..…wieder war der Gastgeber Deutschland, 1988.
Kern der Mannschaft war diesmal die Mannschaft des PSV Eindhoven für die Defensive, die Helden waren jedoch Legionäre: Marco van Basten, der mit 5 Toren Torschützenkönig werden sollte vom AC Milan, sein Mannschaftskamerad Ruud Gullit und der Defensivmann Frank Rijkaard, damals noch bei Saragossa unter Vertrag.
Mit Gullit, Rijkaard und Aaron Winter standen erstmals drei dunkelhäutige Spieler, die ihre Wurzeln in der niederländischen Kolonie Surinam hatten, im Kader der Niederländer für ein großes Turnier.
Den großen Nachbarn erwischte man diesmal im Halbfinale in Hamburg, ohnehin kein gutes Pflaster für die deutsche Nationalmannschaft. Das Spiel verlief quasi genauso wie das Finale von 1974, nur umgedreht:
Damals: 1. HZ 1:0 NED Elfmeter – 1:1 GER Elfmeter – 1:2 GER – 2. HZ torlos...1988 blieb die erste Halbzeit torlos, dann gingen die Deutschen durch einen Elfmeter in Führung, die Koeman ebenfalls durch Elfmeter ausglich. Kohler hatte Van Basten gefoult, den er nie wirklich in den Griff bekam und der dann in der 88. Minute auch den Siegtreffer für die Niederlande markierte...über die Aktion von Ronald Koeman, der sich zum Zeichen der Genugtuung nach dem Spiel mit dem Trikot von Olaf Thon symbolisch den Arsch abwischte, hüllen wir mal den Mantel des Schweigens, auch wenn es eine der unschönsten Jubelgesten des modernen Fußballs war.  Koeman zeigte später auch so was wie Reue (de facto, so wie ich den Mann einschätze, hat der allerdings noch heute spezielles Olaf-Thon-Trikot-Toilettenpapier zu Hause).
Die Niederländer revanchierten sich im Finale für die 0:1 Auftaktniederlage im Gruppenspiel gegen die Sowjetunion und alle waren sich letztendlich einig, daß auch die beste Mannschaft des Turniers im Finale gesiegt hatte.
Die Herren Van Basten, Gullit und Rijkaard wurden im Übrigen in dieser Reihenfolge Europas Fußballer des Jahres 1988 – den niederländischen Titel gewann bezeichnenderweise Ronald Koeman, der Arschabwischer (nein, 1990 gewann nicht Frank Rijkaard, der Völler-Bespucker).
Mit den 90ern kam eine neue Fußball-Generation in den Niederlanden auf, Louis van Gaal hatte die alte Ajax-Schule neu belebt und scheinbar schien man zu den alten Tugenden zurückzukehren: Intelligenz, Kreativität und Individualismus, die den totalen Fußball auszeichneten.
Schön spielen konnten die Niederländer seit 1988 immer und semi-erfolgreich auch.
Was fehlte, war ein General: muß ja kein Schleifer wie Rinus Michels sein, aber alle Nationaltrainer, die ihm folgten, hatten gerade mit den geforderten Tugenden der Spieler ihre Probleme.
Nachdem immer Spieler mit ausländischen Wurzeln, vor allem aus Surinam, zu Spitzenspielern wurden und in der Elftal auftauchten, begann ab 1996 eine Rassismus-Debatte...damals stellten mit Reizinger, Bogarde, Taument, Winter, Davids, Seedorf und Kluivert dunkelhäutige Spieler den Kern der Nationalmannschaft und sollten sich nach der EM immer wieder beschweren, ihnen würden immer wieder „weiße Spieler vorgezogen“. Umgekehrt wurden die Surinamesen immer wieder in der niederländischen Presse dafür kritisiert, daß sie zwar für ihre Vereine Höchstleistungen erbringen würden, in der Nationalmannschaft hingegen regelmäßig versagen würden.
Das Lama, Frank Rijkaard, ist bislang der einzige Spieler aus der surinamesischen Connection, der es auch zum Bondscoach brachte. Er übernahm das Amt 1998 von Guus Hiddink, nachdem der bei der WM 1998 „nur Vierter“ geworden war und während seiner Amtszeit einer der Verursacher der Rassismus-Vorwürfe gewesen war.
Unter Rijkaard erlebte Patrick Kluivert, ebenfalls mit Wurzeln in Surinam, vielleicht seine beste Phase in der Elftal; beim 6:1 im Viertelfinale gegen Jugoslawien bei der EM 2000 traf er alleine drei Mal und war auch der einzige Niederländer, der im Elfmeterschießen im Halbfinale gegen Italien traf (nachdem er zuvor im Spiel allerdings per Strafstoß am Innenpfosten gescheitert war...vorher war schon Frank de Boer im Spiel per Strafstoß gescheitert – der sollte im Elfmeterschießen wieder scheitern, ebenso wie Bosvelt und Stam....allesamt „Weiße“)
Da Rijkaard vor dem Turnier erklärt hatte, ihn interessiere nur der Titel, trat er logischerweise nach dem Turnier zurück... Bondscoach ist ohnehin eine Aufgabe mit relativ geringem Haltbarkeitsdatum; seit der dritten Demission von Rinus Michels im Juni 1992 gab es insgesamt in zwanzig Jahren neun Nachfolger, wobei Guus Hiddink und Dick Advocaat das Amt insgesamt zweimal inne hatten und die letzten zwei Trainer seit insgesamt zusammen acht Jahren amtieren.
Der große Hoffnungsträger war zunächst Stürmerikone Marco van Basten, der 2004 das Amt übernahm und als erstes die Störenfriede Seedorf, Davids und Kluivert aus der Surinam Fraktion aussortierte. 2006 bei der WM war jedoch schon im Achtelfinale Schluß für die Elftal – und schon vor der EM 2008 kündigte van Basten an, er werde nach dem Turnier aufhören; sei Nachfolger wurde Bert van Marwijk, der 2004 bis 2006 auch mal Borussia Dortmund gecoacht hatte.
Unter ihm errang die Mannschaft immerhin den Vizeweltmeistertitel 2010, wiederum zeichnete sich die Mannschaft vor allem durch individuelle Klasse aus.
Wiederum könnte allerdings diese Individualität den Niederländern zum Verhängnis werden: unter van Basten beschwerte sich van Nistelrooy, daß er nicht zu den ihm zustehenden Einsätzen kommen würde und auch jetzt schon seit längeren meckert eine Fraktion um van der Vaart und Huntelaar, der Trainer hätte seine Lieblinge und würde nicht nach Leistung aufstellen.
Nach der Auftaktniederlage gegen die Dänen hat van Marwijk ja nun die Chance, seinen Kritikern zu widersprechen und befindet sich damit im üblichen Dilemma aller niederländischen Bonscoaches...ändert er nichts an seiner Aufstellung und gewinnt gegen den großen Nachbarn, hat er alles richtig gemacht und wird zum Nationalhelden.
Ändert er seine Aufstellung und die Niederlande gewinnen gegen Deutschland, wird er ebenfalls zum Nationalhelden, aber seine Autorität ist angekratzt und spätestens bei der nächsten großen Niederlage ist er wahrscheinlich weg.
Verliert er gegen Deutschland und die Niederlande scheiden nach der Vorrunde aus bei dieser EM, kann er sich wahrscheinlich, egal ob er seine Aufstellung ändert oder nicht, wahrscheinlich einen neuen Job suchen.