Dienstag, 26. April 2011

Dankeschön - Auf Wiedersehen


Es wird also nach menschlichem Ermessen wieder mal nicht reichen. Wenn nicht ein mittelgroßes Wunder vom Millerntor passiert, das größer wäre als der Aufstieg 2001 oder dasjenige vielzitierte von Bern, finden wir uns im nächsten Jahr wieder im Mittelhaus des bezahlten Fußballs wieder. Da freuen wir uns dann schon mal wieder auf Besuche an der Ostsee und in der Welfenstadt. Angesichts dieser Tatsache ist es müßig, schon wieder etwas zur Statistik gegen den heutigen Gegner zu schreiben, das ist von mir hinreichend und oft getan worden. Ich will mich statt dessen auf die Suche nach den Gründen machen, die vielleicht zu dem Abstieg geführt haben könnten.

Zum Ende der Hinrunde sah ja alles noch ganz gut aus. Platz 15, 17 Punkte. Allerdings, nach menschlichem Ermessen lag damals hinter uns zumindest eine Mannschaft, von der man wusste, dass sie in den letzten Jahren gerne mal einen schwachen Saisonstart hin- und dann nach der obligatorischen Trainerentlassung gern auch mal zulegte: Und siehste, der VfB Stuttgart, 17. der Vorrundentabelle ist 6. in der Rückrunde. Einen Platz dahinter in der Rückrundentabelle stehen die Kölner, die zum Ende der Hinserie noch 16. gewesen waren. Die haben also beide zulegen können, wir haben abgebaut.
Na gut, da kann man natürlich die unglaubliche Seuche unserer Verletzungen anmerken, die unsere Abwehr in der Rückserie entscheidend geschwächt hat. Kann ich sagen, ja aber... natürlich, schaut man sich die Stammformation aus dem 1. Spiel gegen Freiburg an:

Hain
Rothenbach
Zambrano
Thorandt
Oczipka
Und dann die aus den letzten Spielen
Pliquett/
Kessler
Lechner/
Bartels
Eger/
Gunesch
Thorandt
Gunesch/
Kalla / Lechner
Dann ist das sicher auch schon eine große Schwächung, wenn man in der Bundesliga quasi wieder mit der Abwehrformation aus der Regionalliga anfangen muss. Eger hatte in der Aufstiegssaison gerade mal 3 Spiele, Lechner 14, Kalla 8, Gunesch immerhin 21. Da ist nach dem Aufstieg auch relativ wenig nachgebessert worden. Vor allem auf der rechten Seite nach dem Ausfall von Rothenbach. Ein Moritz Volz war leider nie eine echte Alternative und auch niemand sonst. Bartels machte seine Sache zuletzt nicht schlecht, aber mal ehrlich, als Rechtsverteidiger hatten wir den nicht eingekauft. Wobei ein echter Knackpunkt vielleicht wirklich der Ausfall von Oczipka war, dessen Qualitäten ja eindeutig in der Vorwärtsbewegung lagen. Mit ihm holten wir 22 Punkte, ohne ihn waren es dann nur noch 7 (wovon sechs auf den Derbysieg und den Sieg gegen Gladbach entfielen). Ja, man kann sagen, wir kassieren zu viele Gegentore. 30 waren es in der Hinserie (damit Tabellen 14.), 26 in der Rückrunde; mit letzterem Wert sind wir das schlechteste Rückrundenteam. Nur in zwei Spielen in der Rückrunde kamen wir ohne Gegentor aus, darunter u.a. beim Derbysieg gegen den HSV, dem auch nicht wenige die Schuld an der Misere zuschreiben. Vorher waren wir nämlich noch ungeschlagen die beste Rückrundenmannschaft, wobei klar sein durfte, dass wir das Niveau nicht hätten halten können.
Brotlose Kunst?
Allerdings, wenn man sich schon die Hinrundentabelle anschaut, fällt auch noch ein weiteres Manko auf und das könnte uns am Ende eher das Genick gebrochen haben:
Stani war ja stets ein Verfechter einer offensiven Ausrichtung; lieber 5:3 als 0:0, hatte er mal gesagt – ist ja auch mehr Spektakel. Nur, wenn ich denn diese drei Gegentore kassiere (und das haben wir achtmal diese Saison bisher), dann sollte ich auch meine fünf Treffer erzielen. Wir haben in der Hinrunde in 17 Spielen nur 16 Tore gemacht; haben in sieben Spielen gar nicht getroffen und waren damit der schwächste Sturm. Und was wir in der Rückrunde an Kisten gemacht haben (17 – damit sind wir Tabellenelfter) reicht halt nicht, um das Mehr an Gegentoren zu kompensieren. Das Dilemma eines Marius Ebbers ist ja leider hinlänglich bekannt. Keine Ahnung, woran es liegt – in der 2. Liga haut er die Dinger für seine jeweiligen Vereine rein, wie es nur geht, sobald er in der ersten Liga spielt, ist das Tor plötzlich nicht mehr sein Freund. Bitte nicht falsch verstehen, ich will kein Ebbe-Bashing betreiben, das hat mit vielen Faktoren zu tun, aber letzte Saison waren es halt 20 Buden, diese Saison nur DREI. Aber auch die anderen Offensivkräfte dürfen sich da an die Nase gepackt fühlen: Hennings (9 – 0), Naki (7 – 1), Takyi (8 – 4), Kruse (7  -  2). Wenn der beste Torschütze eines Vereins, in diesem Falle Asa, erst auf Platz 37 im Liga-Ranking auftaucht und dann erst wieder einer auf Platz 62 (Lehmann und Takyi) kommt, dann ist das deutlich zu wenig. Nun waren in der ersten Liga auch keine 72 Tore zu erwarten, aber 33 sind halt weniger als die Hälfte und halt nicht genug, um die Klasse zu halten. Nur Frankfurt hat da weniger.
Da kann man denn vielleicht schon mal die Spielphilosophie kritisieren. Ich hätte mir in manchem Spiel ein verdammtes Unentschieden gewünscht oder einen dreckigen 2:1 Sieg, statt sehenden Auges weiter nach vorne zu rennen und damit in das Gegentor, das uns so viele Punkte gekostet hat. Neinneinnein, jetzt bloß nicht die alten St. Pauli Tugenden beschreien, wir haben ja jetzt Spektakel und Event. Nur leider nicht am Millerntor. Das ist scheinbar keine Festung mehr; obwohl wir ja diese Saison kein „unechtes“ Heimspiel und auch kein Geisterspiel hatten – wir sind mit einer Bilanz von 4-3-9 schlechtestes Heimteam der Liga. Vier Heimsiege, davon zwei in der Hinserie (das 3:2 gegen Nürnberg und das 1:0 gegen Lautern) und zwei in der Rückserie (das 3:0 gegen das schwächste Auswärtsteam der Liga aus der Domstadt und das 3:1 gegen Gladbach – das war das letzte Spiel von Trainer Frontzek).Selbst in der Aufstiegssaison hatte z.B. Düsseldorf zu Hause mehr Punkte geholt als wir, da haben wir den Aufstieg quasi durch unsere Auswärtssiege klar gemacht. Gut, die haben wir diese Saison auch nicht geholt, aber es sind auswärts bislang genau so viele wie zu Hause. Haben wir vielleicht mit alten Steinen und Containern auch ein wenig von dem alten Geist entsorgt? Businessseats und Kurzpässe statt Holzbänke und Blutgrätschen?

Das Spiel dauert 90 Minuten

Es beginnt mit der ersten und endet mit der 90sten plus Nachspielzeit, wenn nicht ein dämlicher Becherwerfer es vorzeitig beendet. Es ist Aufgabe des Trainers, die Mannschaft auf diese 90 Minuten einzustellen, sozusagen einen „Gameplan“ bereit zu haben. Offensive Aufstellung und Hurra-Stil; dass es da dann an der Effektivität mangelte, haben wir ja schon gesehen. Vier Tore hat St. Pauli in den ersten 20 Spielminuten erzielt, aber neun Gegentore bekommen und wenn wir hinten lagen, hat das zu acht Niederlagen geführt. Wenn wir in Führung lagen nach 20 Minute, sprang nur ein Sieg heraus (das war das ergraupelte 1:0 gegen Hannover im Oktober).
GT in den ersten 20
S
U
N
9
1

8
Eigene Tore



4
1
1
2
Schlimmer ist allerdings die Bilanz nach hinten raus:
GT in den letzen 15
S
U
N
13
1
1
11
Eigene Tore



7
Iii
I

13 Gegentore waren es in den letzten 15 Minuten in dieser Spielzeit; dem stehen nur sieben eigene Tore in der letzten Viertelstunde gegenüber (von denen allein drei auf das erste Spiel in Freiburg entfielen). Das brachte uns drei Siege und zwei Unentschieden ein. Aber die „Last-Minute-Gegentore“, das ist auch schon vielfach in der Presse thematisiert worden, haben uns eindeutig das Genick gebrochen. Es gibt halt solche Spiele wie das 0:1 gegen Hannover, die eindeutig nicht verloren gehen dürfen oder die Spiele in Hoffenheim und Wolfsburg, die nicht unentschieden enden sollten. Da kann man getrost des Trainers offensive Ausrichtung kritisieren, denn wenn er eine Viertelstunde vor Schluss die Auswahl hatte, offensiv oder defensiv zu wechseln, dann entschied er sich zumeist für die offensive Variante. Wenn ich z.B. gegen Wolfsburg 2:1 in Führung liege, muss es dann als letzter Wechsel Ebbers oder darf es auch mal ein Schultz sein. Oder damals, beim Heimspiel gegen den HSV – 77. Minute in Führung gegangen; der HSV wechselt in der 80. Minute zweimal offensiv; bei uns kommt in der 84. Minute Kruse für Naki und in der 88. Minute fällt der Ausgleich. Hätte es auch da ein wenig mehr Beton sein dürfen. Auch da saßen ein Timo Schultz und ein Fabio Morena auf der Bank. Manchmal muss es auch das vorhandene Offensivpersonal richten und manchmal darf es auch nur ein Punkt sein. Hätte auf jeden Fall geholfen. Wie gesagt, ich will keine alten St. Pauli Tugenden bemühen. Wie zum Beispiel das gute alte „nüüüman siecht am Millernddor“. Schwächstes Heimteam der Bundesliga waren wir diese Saison. Die Heimspiele gegen Hoffenheim (0:1), gegen den HSV (1:1), gegen Leverkusen (0:1), gegen Freiburg (2:2), gegen Hannover (0:1) und gegen Stuttgart (1:2) hätten sicher anders laufen können. Das wären, wenn die letzten Gegentore nicht gewesen wären, ein wenig Cleverness hinzugekommen wäre UND man sich vielleicht mit EINEM Punkt zufrieden gegeben hätte, ACHT Punkte mehr gewesen. Und damit auch vielleicht SECHS Gegentore weniger. Nur mal so exemplarisch.
Wobei, das Leben ist kein Konjunktiv. Natürlich ist nicht messbar, was wir, wenn wir das, was wir offensichtlich falsch gemacht hatten, anders gemacht hätten, erreicht hätten. Na gut, für Wunder sind wir zwar noch immer gut, aber das müsste ja wohl, wie schon geschrieben, noch ein Mega-Wunder werden. Also grüßen wir Schweinstuber, Robbery und all die bajuwarischen Mega-Stars zum Abschied. Die verpassen wohl gerade die Fleischtöpfe der Champions-League und dürfen sich dann nächste Saison mit den Mini-Würschteln aus der Euro-League begnügen, dem gewesten UEFA- oder von Kaiserfranz so geschimpften Cup der Verlierer. Das kennt man als Bayern-Superstar der heutigen Zeit ja nun gar nicht mehr. Also, schenken wir den Bayern bitte nochmals einen ein, damit wir uns rechtschaffen verabschieden von unserem Jahr-100-Abenteuer. Hat ja hoffentlich genug Geld in die Kasse gespült mit Merchandising und spart auch Geld mit dem Nicht-Auszahlen von Prämien. Verabschieden wir uns würdevoll von unserer Spieler-Praktikant-Manager-Trainer-Ikone Holger Stanislawski und all jenen, von denen wir noch gar nicht wissen, dass sie uns auch verlassen werden. Das wird nach menschlichem Ermessen Matze Hain sein, der seine Karriere beendet – Kess wird wohl seine Option ziehen, um mit Köln weiter erste Liga zu spielen und Leverkusen wird sich wohl Bastian Oczipka zurück holen und Richie vielleicht an einen anderen Erstligisten ausleihen. Die Verträge von Flo Lechner, Marcel Eger, Timo Schultz und Max Kruse enden mit Ablauf der Saison. Und wir werden einen neuen Trainer bekommen (müssen). Wieder mal etwas größere Umbrüche. Und wenn ich jetzt mal wieder den Konjunktiv bemühen möchte, dann wäre es natürlich schön, wenn wir den direkten Wiederaufstieg schaffen würden. Vielleicht ist es aber auch besser, Wunden lecken, konsolidieren. Das magische Wort lautet Nachhaltigkeit; bloß kein Krampf. Da sind nun die Verantwortlichen gefragt, und ich bin gespannt, wen wir im Sommer und im ÜS 104 begrüßen dürfen. 



Anm.: der Artikel wurde nach dem Bremen-Spiel verfasst; insofern stimmen nicht mehr alle Zahlen